
Dieter Hildebrandt, Jahrgang 1927, hat den Großteil seines kabarettistischen Lebens in Zeiten verbracht, in denen Abgrenzungen weitaus einfacher funktionierten als heutzutage. Im Bundestag standen sich ehemalige Widerstandskämpfer auf der einen und ehemalige SS-Leute auf der anderen Seite gegenüber. Alles rechts der Mitte war böse, alles links der Mitte gut. Der Frontverlauf war eindeutig. Seitdem hat sich einiges getan: Die Guten haben völkerrechtswidrige Angriffskriege geführt, den Sozialstaat verstümmelt und – als sie die Macht dazu hatten – nicht viel weniger lügnerisch, käuflich und einknickend gezeigt als die Konservativen und Liberalen, denen Dieter Hildebrandt dies gerne und zurecht aufs Brot schmierte. Mit weit aufgerissenen Augen, haspelnd und bohrend. Konstantin Wecker haute dazu brünftig schwitzend in die Tasten und sang irgendwas vom „Willi“, den sie „zerschloagen ham“. So war das damals in der guten alten BRD, an die man sich einst dergestalt erinnern wird, dass Helmut Kohl der letzte sozialdemokratische Bundeskanzler dieses Landes war. Dieter Hildebrandt hat die Schmierenstücke der rot-grünen Bundesregierung nicht dazu genutzt, seine Ziele neu zu justieren. Kein Schröder, kein Fischer, kein Scharping, kein Steinbrück, kein Steinmeier. Nur Kohl, Stoiber, Seehofer, Koch, Westerwelle, Niebel, Söder, Brüderle. Gewürzt mit Witzen gegen Holländer und Unternehmensberater. Das tut ihm nicht weh und seinem Publikum erst recht nicht. Das bekommt, was es serviert haben will, an einem Abend, der mehr gesellschaftliches Ereignis als Politisches Kabarett bietet. Gerhard Polt eröffnete einst sein Programm mit einem feinsinnigen und wendungsreichen Stück, in dem er als Touristenführer durch ein Konzentrationslager seinem Publikum bereits nach fünf Minuten klarmachte, dass hier und heute keine billigen Lacher und kein gemütliches Zurücklehnen abzugreifen sei. Dies ist bei Hildebrandt undenkbar. Er hat mittlerweile den „Institutions“-Status erreicht und ist nicht mehr willens oder auch in der Lage, in seinem Publikum Widerhaken zu verankern. Der größte Politische Kabarettist in Nachkriegsdeutschland, Matthias Beltz, wurde am Tage nach seinem Tode mit einem Schmähartikel der übelsten Sorte in Deutschlands Gossen-Postille Nr. 1 bedacht. Die Nachrufe auf Hildebrandt werden staatstragend und milde sein, man wird ihn als „Sturmgeschütz der Demokratie“ und „hellwachen Geist mit scharfer Zunge“ rühmen. Zumindest zweiteres lässt sich nach diesem Abend im wohlig gefüllten Trierer Theater nicht unterstreichen. Während seine starken Momente in der Kommentierung von Tagesaktuellem liegen, so sind die vorgetragenen Texte aus seinem neuen Buch „Nie wieder 80“ doch von teilweise erschütternder Flachheit. Wem zu Roland Koch kein besserer Satz als „Wenn Lügen kurze Beine hätten, könnte er aufrecht unterm Kabinettstisch hin und her rennen“ einfällt oder als Kritik am grassierenden „Berater“-Unwesen nur eine bereits hundertmal in allen Variationen gehörte Metapher aus dem empörten Munde tropft, dem ist ein „je platter, desto mehr lach-lach“-Publikum vielleicht doch nicht so unberechtigt in den Veranstaltungssaal gerutscht.