"Mojen" und "Alles opp de Reih?" grüße ich in astreinem Phantasie-Luxemburgisch die mürrisch dreinschauenden Securities der Rockhal. Die aufgepumpten Ohrfeigengesichter können meiner guten Laune keinen Abbruch tun, denn schließlich habe ich heute zwei gute Gründe, mein Festtagslächeln aufzusetzen: Erstens begleitet mich eine wunderschöne Frau, zweitens werde ich in wenigen Stunden Morrissey persönlich beim Singen zuhören. Beides ist sehr selten und da kann man auch schonmal Grinsen wie Günter Verheugen beim FKK-Urlaub.
Wenige Minuten später erfährt mein Top Level-Wohlbefinden einen weiteren Updrift: Unverhofft treffen meine Begleiterin und ich auf bekannte Gesichter: Zwei Mitarbeiter eines renommierten Trierer Konzertveranstaltungs-Unternehmens und Herrn Jöricke, einen weit über die Landesgrenzen bekannten Bonvivant. Letzterer wirkt, als habe er seit Überquerung der deutsch-luxemburgischen Grenze bereits drei Bier getrunken. "Ich habe seit der Überquerung der Grenze bereits drei Bier getrunken" säuselt er mir ins Ohr. Währenddessen fotografieren die beiden Konzertveranstalter feixend die leeren Ränge der Rockhal und senden die Beweisfotos mit dem Betreff "Volle Hüte" und einem hämischen Grinsen an den daheimgebliebenen "Don" ihres Unternehmens. "Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatten wohl auch die deutschen Soldaten, die sich in Afghanistan mit Totenschädeln fotografiert haben"...denke ich natürlich nur und bringe eine lustige Zigarettenpause außerhalb der Halle ins Spiel. Ein großes Hallo stellt sich ein und man verlagert sich gemessenen Schrittes vor den bombastischen Veranstaltungskomplex. Dort ergreift der leicht angetrunken wirkende Herr Jöricke die erstbeste Gelegenheit, um seine stadtbekannte Vorliebe für große Negerschwänze ins Gespräch einzubringen. Pikiert blicken die Umstehenden zu Boden, während ich ihn mit sanft eingestreuten Stichwörtern weiter anstachele. Dummerweise mischen sich eine dralle Stuttgarterin und ihr ebenfalls aus Stuttgart stammender Begleiter ("Zufälle gibt's!".. denke ich natürlich wiederum nur...) in das Gespräch ein und Herr Jöricke muss seinen Schwall an Obszönitäten erstmal hinten anstellen. Diese Chance wird natürlich genutzt, um mittels Standortwechsel die Situation zu entschärfen. Die beiden Konzertveranstaltungs-Unternehmungs-Mitarbeiter scheinen häufiger mit Herrn Jöricke auszugehen, denn durch eine geschickte 240Grad-Drehung direkt hinter dem Eingang entledigen sie sich seiner und ich hab ihn am Backen. Als Mann der Tat bestellt er erstmal mehrere Biere und macht sich über das angepriesene Getränkesortiment lustig. "Rosport Blablabla" lallt der mittlerweile nicht mehr ganz nüchtern wirkende Hobby-Fußballer und nickt mir beifallheischend zu. "Der Support-Act hat angefangen" fällt mir genialerweise als nächstes ein. "Potzblitz, gut gemacht" denke ich mir. Oder sage es auch. Das weiß ich nicht mehr genau. Im Hauptsaal hat mittlerweile besagter Support-Act sein Set begonnen. Kristeen Young, eine schwer schreiende Frau kaum über 20, quält die Anwesenden mit schlimmer 80er-Frisur und hohen Frequenzbereichen. Herr Jöricke nimmt ein DinA4-Blatt hervor und beginnt zu kritzeln. Nach wenigen Sekunden blickt er irritiert auf, weil ihm offensichtlich nichts mehr einfällt, was er für seinen Nachbericht verwenden könnte. "Klingt wie Kate Bush auf einer Droge, die ich nicht kenne" diktiere ich ihm apathisch in den Block. Dankbar leuchten seine treuen, mittlerweile völlig geröteten Äuglein und er krakelt mit einer Schrift, wie sie schwer erziehbaren Sechsjährigen zu eigen ist, das eben gesagte nieder. Im Bewusstsein, dass sein Nachbericht des Abends um eine Punchline reicher ist, kläfft die eben noch so niedergeschlagen wirkende Edelfeder "Wie Kate Bush nach einem Schlaganfall!"Augenrollend schlage ich einen weiteren Abstecher an der Theke vor. Fehler, Fehler. Hastig stürzt Herr Jöricke weitere Biere die Kehle hinunter und beginnt, aus seinem prall gefüllten Patronengurt an unterhaltenden Geschichten ein Bonmot nach dem anderen abzufeuern. "Als Claude-Oliver Rudolph und ich uns vor zehn Jahren bei einem Model-Wettbewerb im Riverside kennenlernten"... Herr Jöricke hat an einem Modelwettbewerb teilgenommen?! Während die wie Peitschenhiebe folgenden Stichwörter wie "Steuerschulden", "scharfe Französin", "zwei Freundinnen", "Hell's Angels", "Moselstadion" wie durch einen dichten Nebel an mir vorbeirauschen, verharren meine Gedanken immer noch beim ersten Satz. Modelwettbewerb? Unter diesen Gesichtspunkten hatte ich mir Herrn Jöricke noch nie betrachtet. Gut, er hat zumindest dunkles kräftiges Haar. Unauffällig lasse ich meinen Blick am Körper des drahtigen End-Zwanzigers hinuntergleiten. Keinerlei Fettansatz, ein durchaus respektabler Hintern, stramme Fesseln. Freundlich lächle ich ihm zu und versuche, die verloren gegangene Fährte seines mittlerweile völlig unverständlichen Gebrabbels wieder aufzunehmen. Die entstandene homo-erotische Stimmung hat er allerdings in den völlig falschen Hals bekommen. "WARUM KANN MORRISSEY NICHT EINFACH ZUGEBEN, DASS ER SCHWUL IST???!!!" brüllt der Freund belgischen Kartoffelguts plötzlich völlig enthemmt in die Stille des Thekenbereichs. Gesichter erstarren, Plastikbecher fallen gen Boden. Der schwer nach vorne und hinten kippende Verursacher der lähmenden Stille blickt fordernd und nunmehr vollkommen besoffen in die Runde. "Äh, ich glaub, Morrissey fängt ja gleich an und ich muss ja schließlich auch Fotos machen" will ich die Situation entschärfen, verlagern, wasauchimmer. "Sind doch noch 30 Minuten" blökt Herr Jöricke überlegen grinsend zurück. Verdammt, diesem Routinier kann man selbst im desaströsesten Zustand nix vormachen. Wie durch ein Wunder kann ich ihn jedoch trotzdem zum Abmarsch Richtung Hauptsaal bewegen. Den Kopf schwer atmend nach unten gebeugt, mit kessen Side-Steps und der berühmten "Zwei schnelle Schritte vor, anhalten, drei schnelle Schritte vor"-Taktik folgt mir der jetzt stark an Boris Jelzin im Endstadium gemahnende Herr Jöricke in die Halle. "Ich geh dann mal nach da" sage ich und rudere dabei wild mit den Armen. Der von Titanic bis Taz gefeierte Feierabend-Poet versucht, meinen Bewegungen mit seinen vollkommen verquollenen Augen samt zu Dutzenden aufgeplatzter Äderchen zu folgen und bekommt dabei offenbar schweren Seegang im Kinnwasser-Bereich. Wir können uns ja nach dem Fotomachen "dahinten treffen" offeriere ich generös und zeige dabei in rascher Abfolge auf vier völlig entgegengesetzt liegende Punkte. Erschöpft und kraftlos ergibt sich der androgyne Hardrock-Fan seinem Schicksal. Ich trolle mich. Das Konzert war dann übrigens super.